Mallorcas Stierkampfmuseum in Inca hält die Erinnerung an die Tradition wach
Es braucht schon jede Menge Fantasie, um sich die aufgeheizte Stimmung vorstellen zu können, die mal in Incas Plaça de toros geherrscht haben muss. Der Pasodoble, den die Kapelle spielte, wenn der Stier in die Arena getrieben wurde. Das Raunen, das sich durch die vollbesetzten Ränge fortpflanzte, die Aufschreie, wenn ein Torero auf die Hörner genommen wurde, die anfeuernden „Olé“-Rufe. Und der Beifall, wenn das Tier – tödlich getroffen vom Degen des Matadors – zu Boden ging. Selbst wer nie einen Stierkampf live gesehen hat, kennt solche Szenen aus Filmen oder Büchern. All diese imaginären Bilder und Töne schwirren einem plötzlich durch den Kopf, wenn man mitten auf der Kampffläche des menschenleeren Amphitheaters steht. Und es drängt sich die Frage auf: Warum schauen hunderte Menschen dabei zu, wenn ein Tier getötet wird? Man kommt ja auch nicht auf die Idee, an einem Sonntagnachmittag zur Zerstreuung einen Ausflug ins Schlachthaus zu unternehmen.
In dem kleinen Stierkampfmuseum von Inca findet man Antworten auf diese Frage. Sie mögen nicht befriedigen oder gar Verständnis wecken, aber sie erklären ein Phänomen, das aus der Zeit gefallen ist. Vor allem erlaubt das Museum, den Stierkampf in seiner Vergangenheit zu betrachten und ihm am versöhnlichen Ende vielleicht doch das Prädikat einer (untergehenden) Tradition zuzubilligen.
Eine Volksbelustigung stirbt
Die Eingangspforte zur Plaça de toros steht auch heute wieder weit offen, allerdings nicht um wie früher hereinströmende Massen in Empfang zu nehmen. Dafür hat das kleine Café am Rande der Arena die Tische herausgestellt, Kissen und Kerzen auf den Stufen verteilt, die zu den oberen Rängen führen. Am Tresen wartet schon Bartolome „Tomeu“ Llobera Ferrer (60) auf uns. Er ist die Seele der Stierkampfarena in Inca und Initiator des „Museu Cultural Taurí”. Seit er fünf Jahre alt ist kommt er an diesen Ort. Anfangs hat ihn sein Vater mit zu den Kämpfen genommen, später wählte er Stiere für die Corridas aus, war Chulo de Chiqueros (Arenadiener) und wurde schließlich so eine Art Hausmeister. Er ist gleichzeitig Aficionado und Historiker, wenn es um den Stierkampf geht.
Am Beginn der Geschichte der Plaça de toros von Inca steht das kollektive Anliegen der Bürger, sich ein Volksvergnügen zu gönnen. Ein paar Dutzend Geldgeber fanden sich 1905 bereit, die Stierkampfarena zu finanzieren. Es wurden Aktien ausgegeben und die Leute kauften fleißig Anteile, damit die erste Corrida de toros dann 1910 stattfinden konnte. „Früher gab es ja nur Fußball oder Stierkampf zur Zerstreuung“, erinnert Tomeu. „Da saß niemand wie heute vor dem Fernseher oder spielte mit dem Handy.“ Die Familien strömten herbei, brachten ihre Kinder mit zu den Veranstaltungen, die keineswegs als blutrünstig galten. „Wir begeisterten uns natürlich dafür“, erzählt Tomeu, „diese stolze Begegnung zwischen Mensch und Tier, diese eleganten Bewegungsabläufe, die einem Tanz ähneln, das machte schon ordentlich Eindruck auf uns.“ Während der Zeit des Bürgerkrieges versuchten die Bürger von Inca ihre Anteilsscheine zu verkaufen, um sich von dem Geld in schweren Zeiten über Wasser halten zu können. Ein einziger Mann kaufte alle auf und sorgte so dafür, dass die Plaça de toros von Inca bis heute in Privatbesitz ist. Die Stierkampfarena feiert dieses Jahr ihr 109-jähriges bestehen. Aber die Welt hat sich weitergedreht, auch – und vor allem – auf den Balearen. Nicht nur, dass die einstige Volksbelustigung heutzutage als Tierquälerei gilt. Das Interesse an den Kämpfen ging spanienweit ohnehin in den letzten Jahren zurück. Da half es auch nichts, dass die Regierung in Madrid 2013 die Corrida zum „immateriellen Kulturerbe“ erklärte. Das Regionalparlament der Balearen beschloss 2017, weil es ihn nicht verbieten durfte, den Stierkampf stark zu regulieren: Ein Torero dürfe „keinen spitzen Gegenstand verwenden, der den Stier herausfordert oder verletzt“. Dieser Winkelzug, der „fiesta nacional“ auf Umwegen den Todesstoß zu versetzen, wurde im Dezember 2018 vom spanischen Verfassungsgericht kassiert. Es ist aber zu vermuten, dass, wenn nicht die Politik, so doch Tierschützer dafür sorgen werden, dass es weder in Inca noch in den vier anderen Arenen von Mallorca – Palma, Muro, Alcudia und Felanitx – jemals wieder zu Kämpfen kommen wird.
Besuch in der Welt von gestern
In dem kleinen „Museu Cultural Taurí”, das im Café der Plaça de toros untergebracht ist, wird die Vergangenheit nicht verherrlicht, sondern dokumentiert. Tomeu hatte über die Jahrzehnte so viele Utensilien und Devotionalien zu Hause angesammelt, dass er schon aus Platzmangel entschied, sie 2008 der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Historische Fotos, Fächer, Muletas (das berühmte rote Tuch), Banderillas (Spieße) und die gelb-roten Capotes sind hier versammelt. Vor allem die vielen kunstvoll gestalteten Poster erzählen erstaunliche Geschichten, wenn man sie zu lesen weiß. Wie die Ankündigung des Kampfes von Angel C. Carratalá, dem einzigen Torero, der je in dieser Arena umgekommen ist, weshalb 1929 auch als „tragisches Jahr“ in die Annalen von Inca einging. Kaum einer der Namen aus der Szene ist Nicht-Spaniern oder Stierkampf-Ignoranten geläufig. Aber halt, bei der Erwähnung von Jesulín de Ubrique, da klingelt was. Das war doch der Popstar unter den Matadoren, der in den 1990ern plötzlich die Damenwelt für den Stierkampf begeisterte und Vorstellungen exklusiv für Frauen gab. Ein Massenphänomen, das vielleicht vergleichbar ist mit dem Boom, den die Fußball-WM 2006 bei den weiblichen Zuschauerinnen auslöste. Tomeu mit seinem unglaublichen Wissen über die Materie ist Anlaufstelle für Journalisten und Historiker, die Informationen über ganz bestimmte Toreros oder Kämpfe suchen. Aber es kommt nicht nur Fachpublikum ins Museum. „Uns besuchen Leute, die von der Welt des Stierkampfes fasziniert sind, Liebhaber alter Plakatkunst oder ganz einfach neugierige Touristen, die einen Blick in die Arena werfen und sich dann im Museums-Café umschauen.“ Hier taucht der Besucher ein in eine Welt von gestern, die sich selbst überlebt hat.
Neues Leben für die Arena
Die Plaça de toros steht unter Denkmalschutz. Eine verwaiste Kulisse, die zu zerbröseln droht. Von der roten Bande blätterte die Farbe, auf den steinernen Sitzen der 23 nach oben strebenden Reihen wächst Moos. Ganz oben von der überdachten Tribüne aus öffnet sich weit die Landschaft für einen grandiosen Ausblick. Diese imposante Szenerie ist viel zu schade, um sie als leeres Mahnmal verrotten zu lassen. Tomeu sorgt dafür, dass die Plaça de toros für Events vermietet wird. Theater, Konzerte, Ritterkämpfe, DJs. „Die Veranstalter reißen sich um die ausgefallene Location.“ Tomeu und sein alter Freund Mariano Amoros s’Dart (70) sorgen dabei für den reibungslosen Ablauf. Sie kennen die „Eingeweide“ der Plaça, die verwinkelten Gänge der Mangas (Ärmel), durch die früher die Stiere in die Arena getrieben wurden, wie ihre Westentasche. Sie wissen wo Stromleitungen und Wasserrohre entlangführen. Sie halten die Anlage in Schuss und sorgen für ihr Weiterbestehen. „Die Besitzerin hat von all dem keine Ahnung, sie ist 83 Jahre alt und verlässt sich ganz auf uns.“ Alle Einnahmen aus den Veranstaltungen gehen in den Erhalt der Stierkampfarena. In diesem Jahr muss das Holz der barrera erneuertund der Sand in der Arena ausgewechselt werden.
Tradition am Stammtisch
Lebendig ist es auf dem Gelände der Plaça aber nicht nur zu Großveranstaltungen. Selbst an einem normalen Nachmittag unter der Woche kann man hier sehr authentische Unterhaltung genießen. Am Nebentisch haben sich einige Arbeiter niedergelassen, die sich ihr Feierabendbier gönnen. Einer von ihnen greift zur Gitarre, beginnt zu spielen und bald darauf singen und klatschen die anderen voller Inbrunst mit. Flamenco! Eine andere tief verwurzelte Tradition und eng verbunden mit dem Stierkampf. Einer der Männer erhebt sich, tanzt zu dem treibenden Rhythmus, und vollführt dabei die geschmeidigen Bewegungsrituale eines Toreros. Wie sich herausstellt, war Desiderio Garcia früher tatsächlich Matador und kommt immer wieder voller Melancholie an den Ort seines früheren Ruhmes zurück. „Hier hat sich eine Tertulia etabliert“, erklärt Tomeu die Runde, „eine Art Künstler-Stammtisch, der so ab 16 Uhr zusammentrifft.“ Der Gitarrenspieler an diesem Tag ist sogar eine lokale Berühmtheit: Fede Arce, der im Duo mit David Roman Fonseca auf Mallorcas Bühnen als El Trovador del Humor auftritt.
Ha sido un placer!
In vielerlei Hinsicht ist die Plaça de toros von Inca also noch immer ein Ort der Begegnungen – und will dabei den Wandel in ein neues Zeitalter schaffen. Das ist in erster Linie Tomeus’ Verdienst, der nicht am Alten klammert, aber es auch nicht leichtfertig loslässt. Als er uns hinausbringt, drückt er uns die Hand uns sagt schlicht: „Vielen Dank, dass ihr euch für meine Welt interessiert.“ De nada, Tomeu, ha sido un placer!
Die Plaza de Toros von Inca, Mallorca. Am 11.6.2017 fand hier der letzte Stierkampf statt.
Museu Cultural Taurí und Café in der Plaça de toros
- Adresse: c/. Germanias 126, 07300 Inca (gleich hinter dem Bahnhof)
- Öffnungszeiten: Mo-Sa, ab März 9:15 – 17 Uhr; Sommer bis 22:30 Uhr, Winter 9:15-12:00 Uhr
- Website: Hat das Museum nicht. Wer wissen will, wann Events stattfinden, kann sich telefonisch melden: +34 971 500 087
Alle Fotos: ©Marcos Gittis
Ersterscheinung des Textes in El Aviso 1/2019
Wenn du unseren Blog abonnieren möchtest, gib bitte deinen Namen und deine E-Mail-Adresse ein:
Neueste Kommentare