Eines der ältesten Handwerke der Welt und neue Technologie vereinen sich bei Pescaturismo zu einer nachhaltigen Form von Tourismus, von der alle profitieren – Fischer, Start-up und die Besucher der Balearen
In den Häusern von Port d’Alcudia gehen die ersten Lichter an, als wir schon draußen auf dem Wasser sind. Auf der „Es Batlets“ sitzen die Gäste und schauen gebannt Richtung Horizont. Dort erhebt sich die Sonne wie ein gleißender Feuerball aus dem Meer. Während die Handys diesen Moment einfangen, steuert Olga Capote ihr Boot hinaus zu ihren Fischgründen. Sie fährt diese Tour seit neun Jahren, und noch immer ist sie die einzige Fischerin auf den Balearen, die als Bootspatronin ihren „Kahn“ selbst führt. Heute wird sie begleitet von ihrem Mann Carlos Batle Hesse, sonst Kapitän eines Lotsenbootes, der die Passagiere jetzt auf Deutsch darauf aufmerksam macht, dass Steuerbord ein Schwarm Tunas durch die Wellen pflügt.
Die „Es Batlets“ ist gar kein Ausflugsboot. Mehr als fünf Begleiter passen nicht an Bord, aber dadurch ist die Atmosphäre von Anfang an familiär. Man duzt sich, kommt miteinander ins Gespräch. Mats (12), ein passionierter Petrijünger, der heute mit auf Tour ist, darf später beim Angeln die von ihm mitgebrachten Würmer verwenden und mit den Profifischern fachsimpeln. Seine Mutter Nicole steht inzwischen am Bug und ist in die Schönheit der Landschaft versunken. Jeder darf auf dem Boot machen, worauf er Lust hat. Vorausgesetzt, man versperrt Olga beim Manövrieren nicht die Sicht oder verheddert die Netze.
Dass sie bei ihrer täglichen Arbeit von Besuchern begleitet wird, verdankt Olga dem Start-up Unternehmen „Pescaturismo“, das seit drei Jahren über eine Onlineplattform die Möglichkeit bietet, auf den Balearen an der Seite von echten Fischern eines der ältesten Handwerke der Welt kennenzulernen. „Das Reiseerlebnis hat sich in den vergangenen Jahren radikal verändert. Wir sind keine Touristen mehr, wir sehen uns als Entdecker, die authentische Erlebnisse suchen“, beschreibt Pepe Martínez, Gründer und CEO von Pescaturismo, die allgemeine Entwicklung, die den Anstoß für diese Idee gab. Für Olga wie für die anderen Fischer ist das Besuchsprogramm eine willkommene Einnahmequelle. Von dem Preis für eine Tour, der zwischen 55 und 130 Euro pro Nase liegt, erhalten sie 75 Prozent der Einnahmen. Zwei Prozent gehen an die Fischereikooperative, 23 Prozent bleiben für die Unternehmer. „Vorwiegend zur Pflege der Website und für die Vermarktung der Ausflüge“, versichert Pepe, der zusammen mit Helena Rubí und Mèrce Garcia das Venture führt, das auf der Feria Internacional del Turismo 2018 als bestes Produkt in der Kategorie nachhaltiger und verantwortungsbewusster Tourismus ausgezeichnet wurde.
Olga ist zufrieden mit diesem Arrangement. Sie schätzt, dass die Touren mit den Urlaubern etwa 20 Prozent ihrer Einnahmen ausmachen. Das Fischereigewerbe hat sich rasant verändert. „Um so viele Fische zu fangen, wie noch Carlos’ Großvater mit seinem Segelboot reingeholt hat, muss man heute viel weiter rausfahren. Die Fangmenge geht zurück und die Verschmutzung des Meeres nimmt zu. Dieses Jahr haben wir aus 80 Metern Tiefe Plastikmüll hochgeholt – das gab es noch nie!“
Dazu kommt, dass Fangglück eine unberechenbare Größe ist. An manchen Tagen ziehen sie mit den Netzen die dicksten Fische ins Boot, an manchen wie heute haben sich nur Seesterne, Seeigel und ein paar Jungtiere hinein verirrt. Die dürfen kurz für ein Foto posieren und wandern dann sofort wieder über Bord, zurück ins Wasser. Carlos hatte den Gästen schon zuvor anhand einer Broschüre erklärt, welche Tiere geschützt sind und nicht gefangen werden dürfen. Die Auflagen sind streng und werden kontrolliert. Carlos weist auf das Kap Farrutx, den Zipfel zwischen Colónia Sant Pere und Cala Mesquida. „Das Gebiet steht unter strengem Schutz. Dort dürfen wir nur wochentags fischen, nicht bei schlechtem Wetter und die Netze müssen bis 10 Uhr eingeholt werden.“ Er zeigt uns ein Formblatt, in dem die Fischer die Quadranten kennzeichnen, wo die Netze ausliegen und in dem sie jede gefangene Spezies mit Anzahl und Gewicht vermerken. Olga holt mit der „Es Batlets“ neben Pulpos und Langusten auch Cabrachos (Großer Roter Drachenkopf), Lenguados (Seezunge), Salmonetes (Rote Meerbarbe) und Bogavantes (Hummer) rein. Ihren Fang verkaufen die Fischer von der Ostküste nicht in der Region. „Dazu ist der Markt zu klein“, sagt Carlos. Die Fische gelangen alle nach Palma und werden auf der Fischbörse Lonja versteigert.
Solche Details sind es, zusammen mit der gemächlichen Bootsfahrt und der Spannung auf den Fang, die den Besuchern auf den Fischerbooten ein einmaliges Erlebnis bescheren. So tief hinein in das Leben der Einheimischen blicken nur wenige Urlauber oder Residenten während ihres Aufenthaltes auf den Balearen. Olga findet es großartig, dass die Menschen, die auf einem Fischerboot mitfahren, die Inseln von einer neuen Seite kennen lernen. Sie steuert ihr Boot in eine (zumindest vormittags) einsame Bucht, damit die Gäste schnorcheln können, macht entlang der Küste auf Nester von Seeadlern aufmerksam, zeigt die urzeitlich anmutende Silhouette einer Ziege in einer Höhle und genießt ganz offensichtlich selbst den Aufenthalt auf dem Meer, wenn es klar und ruhig ist. Obwohl Pescaturismo die Touren das ganze Jahr über anbietet, finden die Ausflüge bei hohem Wellengang nicht statt.
Die Fischer aber müssen auch hinaus, wenn die See rau ist. „Früh aufstehen, oft ist es sehr kalt draußen, das Einholen der Netze geht auf den Rücken.“ So zählt Olga die Nachteile ihres Berufes auf. Tauschen möchte sie aber dennoch nicht, denn sie hat ihn sich selbst ausgesucht. „Früher hab ich in einem Juwelierladen im Touristenviertel gearbeitet, da war ich erst um 23 Uhr zu Hause, obwohl die Kinder noch klein waren.“ Die Idee, ihr Patent als Patrona zu machen und als Fischerin rauszufahren, kam von ihrem Mann Carlos. „Von allein wäre ich nie darauf gekommen, aber jetzt will ich nichts anderes mehr machen.“
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Interview mit Pepe Martínez, Gründer und CEO von Pescaturismo mit Sitz in Palma de Mallorca
Was genau ist die Idee hinter Pescaturismo?
Stell dir ein Gefäß vor, in dem du ein neuartiges Tourismusmodell anrührst, verantwortungsbewusst und nachhaltig, das die Barrieren zwischen Reisenden und Einheimischen durchbricht. Als Zutat füge man die Perspektive hinzu, die Lebensbedingungen der traditionellen Fischer zu verbessern und ihnen angesichts reduzierter Fangmengen ein zusätzliches Einkommen zu verschaffen. Außerdem die Chance, dem Nachwuchs den Einstieg in einen Sektor zu ermöglichen, der altert und bei dem kein Generationenwechsel in Sicht ist. Als weitere Zutat die Aussicht, das Gespür für eine maritime Kultur zu schärfen, die vom Aussterben bedroht ist. Und zu all dem gebe man noch die Möglichkeiten hinzu, die die neuen Technologien bieten. Das fertige Gericht ist Pescaturismo – eine nachhaltige und integrative Tourismusaktivität, die sich für die Umwelt einsetzt und allen zugänglich ist.
Wie viele Fischer von den Balearen nehmen daran teil?
Bisher sind es insgesamt 30 Fischer aus Mallorca und Menorca. Auf Ibiza und insbesondere auf Formentera waren nicht wenige Fischer interessiert, aber im Gegensatz zu den beiden anderen Inseln wurden ihnen von der zuständigen Behörde Capitanía Marítima zahlreiche Hürden in den Weg gelegt.
Warum beteiligen sich nicht noch mehr Fischer?
Das Konzept ist ja völlig neu und kaum 3 Jahre alt. Es gibt viele interessierte Fischer, die erstmal abwarten, wie sich die Aktivität entwickelt. Hinzu kommt, dass das Genehmigungsverfahren für die Ausübung dieser Tätigkeit recht komplex ist und noch mehrere Änderungen vorgenommen wurden, die die Eingliederung neuer Fischer verzögern.
Buchungen:
Fotos: © Olga Capote, Marcos Gittis, pescaturismomallorca.com
Ersterscheinung des Textes in El Aviso 8/2019
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